Unter dem Titel „Nachhaltige Kunststoffrasenplätze: Wohin geht die Reise?“ diskutierten im Congress-Centrum Koelnmesse unter der Moderation von Stephan Schulz-Algie die Experten Jens Batschkus von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sportämter (ADS), Dr. Markus Dürig vom Bundesinnenministerium (BMI), Rolf Haas von der International Association for Sports and Leisure Facilities Germany (IAKS Deutschland), Tilman Heuser vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Werner Jung-Stadié vom Sportverein SpVg. Arminia Köln 09, Christian Schultheiss von der Europäischen Chemikalien Agentur (ECHA), Prof. Martin Thieme-Hack von der Fakultät für Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur der Hochschule Osnabrück sowie Andreas Silbersack vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).
Andreas Silbersack, DOSB-Vizepräsident für Breitensport und Sportentwicklung sagte in seiner thematischen Einführung, der DOSB biete mit dem Forum eine Plattform für den Austausch über Nutzung, Betrieb, Planung, Bau, Herstellung, Entsorgung und Forschung von Kunststoffrasen. „Dabei sollen ökologische, soziale und ökonomische Perspektiven gleichermaßen in den Blick genommen werden.“ Anfang des Jahres 2019 seien die Eigentümer, Betreiber und Nutzer*innen der Kunstrasensportplätze, also vor allem Vereine und Kommunen, überaus verunsichert gewesen, ob diese Flächen zukünftig überhaupt noch uneingeschränkt sportlich genutzt werden dürften. Inzwischen habe sich die Situation zwar entspannt, weil deutlich geworden sei, dass ein Nutzungsverbot von derartigen Sportflächen nicht beabsichtigt sei, aber „wir brauchen dringend nachhaltigere Lösungen für die Zukunft“, mahnte Silbersack. Füllstoffe, die Plastik enthalten („Kunststoffgranulate“) und die Fasern von Kunststoffrasenbelägen seien nicht umweltverträglich und stellten in einigen Fällen auch eine potentielle Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Immerhin gebe es in Sportdeutschland etwa 7.000 Sportflächen mit Kunststoffrasenbelag, die meisten davon Fußballplätze. Ungefähr die Hälfte dieser Kunststoffrasenplätze ist mit Kunststoffgranulat aus geschredderten Altreifen verfüllt. Der DOSB sehe Nachhaltigkeit als handlungsleitendes Prinzip, betont Silbersack und wenn eine Gefährdung besteht, dann sieht sich der DOSB federführend in der Verantwortung. Dafür haben wir mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) frühzeitig eine Arbeitsgruppe „Mikroplastik durch Sport in der Umwelt“ gegründet, deren Mitglieder aus allen relevanten Bereichen kommen und die Problematik erörtern“. Aber, so Silbersack, der finale Beschränkungsvorschlag der Europäischen Chemikalien Agentur sei noch in Erarbeitung und die Konsequenzen für den Sport daher noch nicht klar: „Wir müssen für die Vereine den Druck aus dem Kessel bekommen und weiter aufklären.“
Werner Jung-Stadié von Spvg. Arminia Köln 09, der sich auch im Vorstand des Fußball-Kreises Köln und des Stadtsportbundes Köln engagiert, bekräftigte die Unsicherheit der Ehrenamtlichen in den Vereinen wie in die Zukunft gerichtete Entscheidungen aussehen müssten. Kunststoffgranulat werde nun zwar auf den circa 40 Kunststoffrasenplätzen in der Domstadt nicht mehr eingestreut, dafür Kork oder Quarzsand, Kunstrasenplätze seien allerdings aufgrund der intensiveren Nutzbarkeit auch bei widrigen Witterungsbedingungen alternativlos. Sie stellten zudem für Vereine ein Qualitätsmerkmal bei der Mitgliedergewinnung dar. „In unserem Verein haben wir keinen Kunstrasenplatz, wollen aber einen. Die Begehrlichkeiten sind da, denn die Vereinsmitglieder gehen sonst zur Konkurrenz.“
Keine Schließung von Kunststoffrasenplätzen
Christian Schultheiss von der ECHA freut sich über die „proaktive Mitgestaltung“ des DOSB und versicherte, dass das aktuelle Verfahren zur Beschränkung von Füllstoffen in Kunststoffrasensystemen transparent und ausgewogen sei. Vor- und Nachteile verschiedener Szenarien würden zunächst beschrieben und alle Betroffenen könnten dazu Stellung nehmen. „Wir stehen am Anfang eines Prozesses. Die wissenschaftlichen Ausschüsse der ECHA bereiten entsprechende Empfehlungen für die Europäische Kommission vor“, so Schultheiss. Ein wissenschaftlicher Ausschuss werde dabei auch die sozio-ökonomischen Folgen einer Beschränkung bewerten. Die endgültige Entscheidung der EU-Kommission falle voraussichtlich erst 2021. Eine Beschränkung des Verkaufs von polymerhaltigen Füllstoffen könnte dementsprechend erst 2022 in Kraft treten. Zur Verfahrensweise erläuterte der „Legal Advisor“ von ECHA auf Nachfrage, dass danach keine nationale Umsetzung des EU-Beschlusses verlängern werde, denn „eine Entscheidung ist dann geltendes EU-Recht, das direkt umgesetzt wird.“ Selbst bei einem Verkaufsverbot von polymerbasierten Füllstoffen dürfe aber noch derartige, bereits angeschaffte Füllstoffe weiterhin verwendet werden. Der DOSB spricht sich hinsichtlich des möglichen Verkaufsverbots für die Festsetzung einer Übergangsfrist durch die EU-Kommission von mindestens sechs Jahren aus.
Eine solche Übergangsfrist hält Jens Batschkus, stv. Vorsitzender des ADS, für wichtig, damit alle Betroffenen Planungssicherheit haben. Der Erfurter vertrat auf dem Podium die kommunalen Betreiber von Sportanlagen in Deutschland. „Allein das Haushaltsrecht macht es den Kommunen kaum möglich, von heute auf morgen auf ein Verbot zu reagieren.“ Batschkus hat die Erfahrung gemacht, dass bereits eine kontinuierliche fachgerechte Pflege der Kunststoffrasenplätze den Austrag von Füllstoffen in die Umwelt deutlich verringern könne. In Erfurt habe man deshalb bereits bei der Ausschreibung des Baus neuer Plätze auch deren fachgerechte Pflege mitberücksichtigt - „ein kleiner Schritt, aber einer in die richtige Richtung“.
Dr. Markus Dürig vom BMI begrüßte, dass die Klarstellungen der ECHA und die Informationsvermittlung der Sportverbände Ruhe in die Diskussion bringe und „allen, die Plätze betreiben, nun klar ist, dass sie nicht heute oder morgen verpflichtet sind, ihre Plätze zu schließen. Es gibt hier einen sauberen und vernünftigen Prozess“. Bundesinnenminister Horst Seehofer habe im Übrigen in einem Brief an die Bundesumweltministerin Svenja Schulze, deren Behörde die Federführung in dem Thema hat, auf die „berechtigten Interessen des Sports“ hingewiesen. Daraufhin habe BM Schulze zugesagt, es werde im weiteren Verfahren eine enge Abstimmung des Bundesumweltministeriums mit dem BMI geben. Ministerialrat Dr. Dürig verwies auch auf das Faktenpapier „Füllstoffe in Kunststoffrasensystemen im Sport“, dass das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) in enger Zusammenarbeit mit dem DOSB veröffentlicht habe, das umfangreiche Informationen bietet und aktuelle Entwicklungen der in Kunststoffrasensystemen verwendeten Füllstoffe in den Blick nimmt.
Nachhaltigkeit im gesamten Produkt-Lebenszyklus
Prof. Martin Thieme-Hack von der Hochschule Osnabrück wollte eine „Lanze brechen für den Kunststoffrasen“. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise sei in einem Zeitraum von zehn Jahren der Bestand von Kunstrasenplätzen von 100 auf über 1.000 gewachsen. Das bedeutet auch 350 Hektar weniger Verbrauch von natürlichen Flächen. Man müsse also in jedem Einzelfall prüfen, was der bedarfsgerechte Belag sei. „Ein Kunstrasenplatz für eine Thekenmannschaft, das wäre nicht nachhaltig“, so Thieme-Hack. Es komme auch darauf an, wie intensiv ein Platz genutzt werde. Ob Naturrasen, Kunststoffrasen oder Tenne, diese Frage könne jeder Verein und jede Kommune nur für sich im Rahmen eines lokalen Abwägungsprozesses unter Einbeziehung aller relevanten Akteure treffen.
Nachhaltigkeit ist auch das zentrale Kriterium für den BUND-Landesgeschäftsführer Berlin, Tilmann Heuser. Er sehe eine breite Einigkeit, dass ein Verbot von schädlichem Altreifen-Granulat („SBR-Granulat“) ausgesprochen werden muss, „mit nicht zu langen Übergangsfristen“. Man müsse sich auch fragen, was schief gelaufen sei bei der Produkteinführung und dem Bau von Kunststoffrasenplätzen mit Füllstoffen aus Kunststoff. Offensichtlich habe das günstigste Angebot oftmals das nachhaltigere ausgestochen. Heuser nannte als Beispiel für eine aus seiner Sicht falsche Prioritätensetzung bei der öffentlichen Förderung, die Prämie für den Kauf von E-Autos durch die Bundesregierung in Höhe von 6.000 Euro pro Stück. Sinnvoller wäre es „E-Flotten für Sportverbände oder andere Flottenbetreiber zu fördern“. Bei Kunststoffrasensystemen gebe es mittlerweile viele Ansätze für alternative Beläge bzw. Füllstoffe in, so Heuser. Das könne man auf der FSB-Messe in Köln gut beobachten. Die zentrale Herausforderung sei es nun, Vorgaben für die öffentliche Finanzierung zu entwickeln, indem entsprechende Mindestanforderungen für Vergabe und Beschaffung bei neuen Bauprojekten gesetzt werden, die den „Lebenszyklus der Produkte und das Recycling miteinbeziehen. Es müssen Prioritäten gesetzt werden, um aus dem Herumknapsen raus zu kommen.“
Effiziente Förderung und gute Rahmenbedingungen
Auf 30 Jahre Erfahrung im Sportanlagenbau kann Rolf Haas von IAKS Deutschland schauen. Die IAKS Deutschland vertritt u. a. die Hersteller von Kunststoffrasensystemen. Für die Branche waren die Entwicklungen des Themas Mikroplastik durch Kunststoffrasensysteme laut Haas „ein Super-Gau“, musste sie doch große Umsatzeinbußen befürchten. Es bieten sich nach und nach aber auch Chancen für innovative Lösungen an, sagte Haas. Fest stehe, dass der Sport nachhaltige Kunststoffrasenplätze benötige, erstens aus sportfachlichen Gründen, zweitens aber auch „für die vielen sozialen und gesellschaftlichen Aufgaben der Vereine“. Haas lenkte wie Heuser (BUND) den Blick auf den Rückbau abgenutzten Kunststoffrasen und die Entwicklungen hinsichtlich des Recyclings der verbauten Materialien. Aufgrund einer Nachfrage aus dem Plenum zu den Recyclingmöglichkeiten, wiesen mehrere anwesende Firmenvertreter auf ihre diesbezüglichen Erfahrungen hin. Es wurde jedoch auch deutlich, dass die derzeitigen Recyclingkapazitäten den aktuellen und insbesondere den zukünftig steigenden Bedarf nicht decken. Der Vertreter einer Fachfirma erläuterte zudem, dass sein Unternehmen im Jahr 2019 100 Spielfelder recycele, davon kämen aber 99 aus dem Ausland. Er vermutete, dass in Deutschland häufig die günstigste, aber dafür nicht fachgerechte Möglichkeit gewählt wird. Ein Blick in die Niederlande sei diesbezüglich hoch interessant. „In Holland werden nur dann neue Spielfelder gefördert, wenn alte gut recycelt werden.“ Diese Aussage stieß insbesondere bei Dr. Dürig (BMI) auf Interesse.
Als Vereinsvertreter fasste Jung-Stadié (SpVg. Arminia Köln) das Gesprächsforum aus seiner Sicht wie folgt zusammen: „Ich freue mich über den weitgehenden Konsens in dieser Runde. Es wird kein Horrorszenario der Schließung von Plätzen geben und die Botschaft lautet: Es geht weiter, aber nur unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit.“
Dr. Karin Fehres, DOSB-Vorstand Sportentwicklung beantwortete in ihrem Fazit die in der Veranstaltung gestellte Frage „Wohin geht die Reise?“ mit „…nicht ins Ungewisse.“ Fehres plädierte für weiteren intensiven Austausch und betonte, man habe ein funktionierendes Netzwerk gebildet. „Es besteht ein hohes Interesse vor allem bei den Ehrenamtlichen in den Sportvereinen stabile Rahmenbedingungen und Handlungsempfehlungen zu bekommen. Und es besteht, soweit ich das verstanden haben, überhaupt kein Dissens darüber, dass wir Kunststoffrasenplätze brauchen. Aber es braucht auch noch Lösungen für die Qualität, den Lebenszyklus und die Entsorgung bzw. das Recycling“.
Hintergrund Mikroplastik
Mikroplastik bezeichnet nach Definition der ECHA ein Material, das aus festen polymerhaltigen Partikeln besteht, denen Zusatzstoffe oder andere (organische) Substanzen zugesetzt worden sein können. Die betroffenen synthetischen Partikel sind nicht biologisch abbaubar. Unter die ECHA-Definition von Mikroplastik fallen auch die als Füllstoff verwendeten Kunststoffgranulate für Kunststoffrasensysteme. Diese Füllstoffe stellen sogenanntes primäres Mikroplastik dar. Sekundäres Mikroplastik im Sport kann z. B. durch die Freisetzung von Kunststofffasern aus der Sportkleidung sowie auch durch den Verschleiß von Kunststoffrasenbelägen und weiteren sportlich genutzten Kunststoffflächen entstehen. Grund für den Beschränkungsvorschlag der ECHA sind die potenziellen Umwelt- und Gesundheitsrisiken, die sich aus dem Vorhandensein von festen Partikeln aus synthetischen Polymeren in der Umwelt ergeben. Diese Partikel stehen, bedingt durch die Größe, leicht zur Aufnahme durch eine Vielzahl von Organismen (darunter Wirbellose, Fische, Meeresreptilien, Vögel und Wale) zur Verfügung, und können innerhalb der Nahrungskette weitergeben werden. Es ist bekannt, dass der Mensch über seine Ernährung Mikroplastik ausgesetzt ist. Der aus Kunststoffrasensystemen geschätzte Austrag von Mikroplastik beträgt in der EU zwischen 18.000 - 72.000 Tonnen pro Jahr. (Quelle: Faktenpapier Füllstoffe in Kunststoffrasensystemen im Sport, Herausgeber DOSB und BISp).
(Quelle: DOSB/Markus Böcker)